
Schöner, klüger, besser: Gehörst du auch zu den Menschen, die immer danach streben, die beste Version ihrer selbst zu sein? Und setzt du dich damit auch massiv unter Druck?
Ich arbeite zwar daran, meinen Perfektionismus abzulegen, aber das fällt mir mitunter ziemlich schwer. Er hat seinen Ursprung in meiner Kindheit, wie so viele Angewohnheiten und Glaubenssätze. Als ich sie mir angeeignet habe, waren sie hilfreich, zum Teil sogar notwendig, um mich zu schützen. Heute sind die meisten von ihnen eher hinderlich. Dazu gehört es zum Beispiel auch, immer überdurchschnittlich gute Leistung zu erbringen. Das ist stressig und kostet mich extrem viel Energie, die mir dann an anderer Stelle fehlt.
Es hat lange gedauert, bis ich das überhaupt erkannt habe. Ich habe diesen Ehrgeiz nicht weiter hinterfragt. Ich war der Meinung, er sei einfach ein Teil von mir und nicht veränderbar. Hast du dich schon mal gefragt, warum du etwas Bestimmtes erreichen willst? Möchtest du es wirklich selbst? Oder hat es irgendwer anderes als lohnenswertes Ziel ausgerufen?
Perfektionismus: Basis für Depressionen und Angststörungen
Mittlerweile habe ich gelernt, dass mich mein Perfektionismus chronisch erschöpft und mir Lebensfreude nimmt. Ist es das Wert? Sicherlich bin ich nicht die Einzige, die sich mit Leistungsdruck und seinen negativen Konsequenzen herumschlägt. Du wirst genügend Studien finden, die das beweisen. Es gibt in unserer Gesellschaft wenig Spielraum für Abweichungen. Zur Norm gehört es, fleißig, effizient, produktiv und gleichzeitig fröhlich, glücklich, sauber, schön und gesund zu sein. Zu hohe Erwartungen von außen, aber eben auch an sich selbst führen zu Angststörungen und Depressionen. Ich kann das auch in meinem Umfeld beobachten. Vielleicht erlebst du das auch.

Forschende sehen die Ursache dafür in unserer Gesellschaft, die zunehmend komplexer wird, in der hohe Anforderungen gestellt und hoher Wert auf Eigenverantwortung und Leistung gelegt wird. Ist dir aufgefallen, dass wir uns und unsere Entwicklung mit Begriffen aus der Ökonomie kommentieren? Es geht um Erfolg, Investment, persönliches Wachstum.
In unserer Gesellschaft liegt der Schwerpunkt auf Nützlichkeit und Funktionalität. Alles was wir privat oder beruflich tun, wird über den Erfolg definiert. Viele Menschen messen ihren Wert an dem, was sie an Arbeit leisten. Sie reden sich dann ein: "Nur wenn ich leistungsfähig bin, bin ich etwas wert." Das ist völliger Quatsch.
Du bist etwas wert, einfach weil du da bist.
Du musst dich nicht beweisen, nichts leisten. Einfach nur sein.
Und du bist genau so viel Wert, wie jeder andere Mensch auch.
Es gibt niemanden, der wertvoller ist.
Was wir brauchen, ist ein offenerer und sensiblerer Umgang mit mentaler Belastung, Stress und Erschöpfung. Die Diskussion darüber muss enttabuisiert werden. Als Journalisten sehe ich das als wichtiges Thema an, über das ich immer wieder berichte und versuche, meinen Teil zur Diskussion beizutragen.
"Perfektionierte" Freizeit und Beziehungen
Paradox finde ich, dass viele Menschen dazu neigen, nicht nur perfekte Leistung zu erbringen, sondern auch ihre Freizeit und Beziehungen zu anderen Menschen optimieren zu wollen. Die Sozialen Medien tragen dazu sicherlich bei, indem dort das "perfekte" Leben gezeigt wird: Luxusurlaube, Fitnesserfolge, niedlich lachende Babys (ohne Karottenbrei im Gesicht und auf der Kleidung), Partylaune, Hauskauf etc.
Kurzum: Solche Dinge werden als die Norm dargestellt, obwohl sie doch eher die Ausnahme sind bzw. man sie nur selten erlebt. Das wahre Leben, in dem fettige Haare, Pickel, Schreibabys, Sonntage auf der Couch und Regenwetter am Traumstand vorkommen, hat keinen Platz. Je höher die Erwartungen, desto unzufriedener ist man, wenn man sie nicht erfüllen kann. Und das können wohl die meisten von uns nicht.
Verbindung zu anderen Menschen ist wichtig
Hinzu kommt, dass wir uns immer stärker als Konkurrenten sehen. Wir haben vergessen, dass wir Menschen soziale Wesen sind. Auf mich allein gestellt verkümmere ich. Dieses Verhalten zehrt uns aus. Wir müssen wieder zu einem Gleichgewicht zwischen Verbindung und Autonomie finden. Der Kontakt zu anderen ist das wichtigste Gegenmittel gegen die Leistungsgesellschaft.
Ohne einen guten Grund, der dich ausfüllt und wirklich antreibt, verlierst du die intrinsische Freude an den Dingen, die du tust. Dann kommt die Motivation nicht länger von innen und du wirst vielleicht erfolgreich sein, aber unglücklich und unzufrieden. Konzentriere dich mehr auf den Moment und deinen Körper. Sei im Hier und Jetzt.
5 Tipps, wie du dein Leben leichter nehmen kannst
- Frage dich öfter "Macht mir das Spaß" statt "Was bringt mir das?".
- Was gibt deinem Leben einen Sinn? Was macht dich glücklich? Konzentriere dich darauf.
- Wer bist du? Die Gesellschaft bevorzugt soziale, energiegeladene, extrovertierte Menschen. Doch die wenigsten sind so. Das ist okay.
- Sorgst du gut für dich? Versuche ab und an etwas zu tun, was nicht produktiv ist, aber dir Freude bereitet.
- Bist in Verbindung zu anderen Menschen? Suche immer wieder aktiv Kontakt. Unterhalte dich zum Beispiel mit der Kassiererin im Supermarkt.
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